Schmerz ist nicht gleich Schmerz – differenzierte Diagnostik als Basis moderner Schmerzmedizin
Schmerz ist ein komplexes, individuell wahrgenommenes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das in der Regel eine Warnfunktion erfüllt. Er signalisiert dem Körper, dass potenziell schädigende Einflüsse wirken oder bereits ein Schaden entstanden ist – etwa eine Verletzung, Entzündung oder Überlastung.
Wird Schmerz jedoch chronisch oder entsteht unabhängig von einer akuten Gewebeschädigung, verliert er seine Schutzfunktion und entwickelt sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild. In der modernen Schmerzmedizin steht daher die differenzierte Analyse des Schmerzmechanismus im Zentrum der Diagnostik – denn:
Nur wer versteht, was genau weh tut und warum, kann gezielt und wirksam behandeln.
Akuter und chronischer Schmerz – Dauer, Funktion und Entwicklung
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Akuter Schmerz tritt plötzlich auf, ist zeitlich begrenzt und in der Regel gut lokalisierbar. Er erfüllt eine wichtige Warn- und Schutzfunktion, indem er den Körper auf drohende oder bestehende Gewebeschädigungen aufmerksam macht – zum Beispiel nach Verletzungen, Operationen oder akuten Entzündungen. Wird die Ursache behoben, klingt der Schmerz meist vollständig ab.
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Chronischer Schmerz besteht länger als drei Monate oder tritt wiederholt auf – häufig auch dann, wenn die ursprüngliche Ursache längst abgeheilt ist oder keine klare Gewebeschädigung (mehr) nachweisbar ist. Die Schmerzverarbeitung hat sich verselbständigt, oft begleitet von Veränderungen im zentralen Nervensystem – ein Phänomen, das als neuroplastische Veränderung bzw. Schmerzgedächtnis bezeichnet wird. Chronischer Schmerz beeinflusst das gesamte Erleben: Psyche, Schlaf, Alltagsfunktionen und Lebensqualität sind häufig beeinträchtigt.
Schmerzarten nach Pathophysiologie – der Schlüssel zur gezielten Therapie
In der modernen Schmerzmedizin werden Schmerzen nicht nur nach Dauer, sondern vor allem nach ihrem Entstehungsmechanismus unterschieden. Diese Einteilung ist für die Wahl der passenden Behandlung entscheidend:
1. Nozizeptiver Schmerz
Dieser Schmerz entsteht durch die Aktivierung von Nozizeptoren, also Schmerzrezeptoren in Haut, Muskeln, Gelenken oder inneren Organen. Ursache sind Gewebeschädigungen oder -reizungen durch mechanische, thermische oder chemische Einflüsse.
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typische Auslöser: Prellungen, Frakturen, Arthrose, postoperative Schmerzen, akute Entzündungen
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Pathophysiologie: Entzündungsmediatoren (z. B. Prostaglandine, Bradykinin) sensibilisieren die Nozizeptoren → Weiterleitung über Aδ- und C-Fasern ins Rückenmark und Gehirn → bewusste Schmerzwahrnehmung
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Behandlung: Klassische Analgetika, ggf. lokale Maßnahmen
2. Neuropathischer Schmerz
Hier liegt eine direkte Schädigung oder Dysfunktion des peripheren oder zentralen Nervensystems vor. Betroffene beschreiben die Schmerzen häufig als brennend, stechend, elektrisierend oder einschießend. Häufig sind Missempfindungen wie Taubheit, Kribbeln oder Überempfindlichkeit begleitend.
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typische Ursachen:
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Polyneuropathie (z. B. bei Diabetes oder Alkoholismus)
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Postzosterneuralgie (nach Gürtelrose)
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Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelreizung
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Nervenläsionen nach Operationen oder Traumata
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Zentrale Ursachen: z. B. Schlaganfall, Multiple Sklerose
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Pathophysiologie: Fehlgeleitete oder übermäßig verstärkte Schmerzsignale durch spontane Nervenaktivität, reduzierte Hemmung im Rückenmark oder „Maladaptive Reorganisation“ im Gehirn.
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Behandlung: Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer , Capsaicin-Pflaster, TENS, ggf. invasive Verfahren
3. Noziplastischer Schmerz
Dieser Schmerztyp liegt vor, wenn keine nachweisbare Gewebeschädigung und keine Nervenläsion besteht – die Schmerzverarbeitung ist aber zentral gestört. Früher oft als „funktionelle Schmerzen“ bezeichnet, ist heute der Begriff noziplastisch korrekt.
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typische Krankheitsbilder:
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Fibromyalgie
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Reizdarmsyndrom
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Spannungskopfschmerz
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komplexe regionale Schmerzsyndrome (CRPS ohne erkennbare Läsion)
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Pathophysiologie:
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Zentrale Sensitivierung (Übererregbarkeit spinaler und supraspinaler Schmerzbahnen)
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Verminderte schmerzhemmende Mechanismen
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Dysbalance im Neurotransmitterhaushalt (z. B. Serotonin, Noradrenalin)
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Behandlung: Multimodal! Kombination aus edukativen Maßnahmen, Bewegungstherapie, Psychotherapie, Medikamenten und Stressbewältigung
4. Mischschmerz
Viele Patienten – insbesondere mit chronischen Rückenschmerzen, Tumorschmerzen oder Narbenschmerzen – zeigen überlappende Schmerzmechanismen. Es handelt sich dann um eine Kombination aus nozizeptiven, neuropathischen und/oder noziplastischen Komponenten.
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Behandlung: individuell abgestimmt, interdisziplinär, häufig multimodal
Weitere relevante Schmerzformen
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Viszeraler Schmerz
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entsteht in den inneren Organen (z. B. Darm, Niere, Galle)
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meist diffus, drückend, krampfartig, mit vegetativen Begleitsymptomen (Übelkeit, Schwitzen)
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Therapie: Kombination aus Analgetika, krampflösenden Medikamenten, ggf. Opioide
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Zentrale Schmerzsyndrome
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Entstehen durch Schädigung oder Fehlfunktion im Gehirn oder Rückenmark
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z. B. zentrale post-stroke Schmerzen, Schmerz bei Multipler Sklerose
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Therapie: komplex, oft Kombination aus zentral wirkenden Medikamenten, Neurostimulation, psychotherapeutischer Begleitung
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Psychogener Schmerz
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Schmerz als Ausdruck seelischer Belastung – etwa bei Depression, Angststörung oder posttraumatischer Belastungsstörung
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kein „eingebildeter“ Schmerz, sondern real erlebt – aber ohne nachweisbare somatische Ursache
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Therapie: Psychotherapie, ggf. medikamentöse Unterstützung, achtsame Gesprächsführung
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Warum eine präzise Schmerzdiagnose so entscheidend ist
Die Vielfalt der Schmerzarten zeigt: Schmerz ist nicht nur ein Symptom, sondern kann Ausdruck ganz unterschiedlicher Prozesse sein.
Eine undifferenzierte Behandlung mit „einfachen Schmerzmitteln“ ist oft nicht wirksam – oder führt zu unerwünschten Nebenwirkungen.
Darum gilt:
Die präzise Einordnung des Schmerzes ist die Grundlage jeder wirksamen Therapie.
Schmerzmedizin in meiner Ordination in Retz
Als Fachärztin für Anästhesiologie mit Spezialisierung auf Schmerzmedizin nehme ich mir Zeit für eine sorgfältige Diagnostik und individuelle Beratung. In meiner Praxis in Retz kombiniere ich moderne Medikation mit gezielten Interventionen, nicht-medikamentösen Verfahren und psychologischer Begleitung – immer auf Basis des zugrundeliegenden Schmerzmechanismus.
Sie leiden unter unklaren, chronischen oder therapieresistenten Schmerzen?
Ich unterstütze Sie gerne mit einem individuell abgestimmten, evidenzbasierten Behandlungskonzept.