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Pharmakogenetik

Pharmakogenetik

Pharmakogenetik in der Schmerzmedizin: Wenn Gene den Unterschied machen

In der modernen Schmerztherapie gibt es kaum eine „Einheitslösung“. Während manche Patienten auf ein Schmerzmittel hervorragend ansprechen, berichten andere über mangelnde Wirkung oder ausgeprägte Nebenwirkungen- trotz identischer Dosierung.

 

Eine der Ursachen für diese Unterschiede liegt in den individuellen genetischen Voraussetzungen. Die sogenannte Pharmakogenetik kann hier wertvolle Hinweise liefern, um Therapien maßgeschneidert und sicher zu gestalten.

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Was ist Pharmakogenetik?

Die Pharmakogenetik ist ein Teilgebiet der personalisierten Medizin. Sie untersucht, wie genetische Variationen den Abbau, die Wirkung und die Verträglichkeit von Medikamenten beeinflussen. Diese Unterschiede betreffen vor allem bestimmte Enzyme in der Leber, über die Arzneimittel verstoffwechselt werden. Je nachdem, wie aktiv oder inaktiv diese Enzyme beim einzelnen Menschen sind, wird ein Wirkstoff schneller oder langsamer abgebaut– mit unmittelbaren Auswirkungen auf dessen Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil.

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Relevanz in der Schmerzmedizin

Die Schmerztherapie setzt häufig Medikamente ein, die über diese Enzyme metabolisiert werden – dazu zählen unter anderem:

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  • Opioide wie Tramadol, Codein, Oxycodon

  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen

  • Antidepressiva und Antikonvulsiva zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen (z. B. Amitriptylin, Duloxetin, Carbamazepin)

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Unterschiedliche genetische Profile können hier zu Therapieversagen oder unerwünschten Nebenwirkungen führen. Die Berücksichtigung pharmakogenetischer Faktoren kann somit helfen, Therapieabbrüche zu vermeiden, Nebenwirkungen zu reduzieren und die Zeit bis zum Wirkungseintritt zu verkürzen.

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Die Rolle der CYP-Enzyme im Medikamentenstoffwechsel

Im Mittelpunkt der pharmakogenetischen Diagnostik steht eine Enzymfamilie mit der Bezeichnung Cytochrom P450 (CYP). Diese Enzyme befinden sich überwiegend in der Leber und sind entscheidend für den Abbau vieler Medikamente. Mehrere genetisch codierte Varianten dieser Enzyme beeinflussen deren Aktivität– und damit die Geschwindigkeit, mit der ein Medikament im Körper abgebaut wird.

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Die wichtigsten CYP-Enzyme in der Schmerzmedizin

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CYP2D6: zentrale Rolle beim Abbau vieler zentral wirksamer Schmerzmittel und Antidepressiva. 
Relevant für: Tramadol, Codein, Oxycodon, Dextromethorphan, Amitriptylin, Duloxetin

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CYP2C9: wichtig für den Metabolismus von NSAR. 
Relevant für: Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen, Celecoxib

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CYP2C19: Beteiligung am Abbau von bestimmten Antidepressiva, Antiepileptika und Protonenpumpenhemmern. 
Relevant für: Amitriptylin, Citalopram, Clobazam

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CYP3A4 / CYP3A5: verstoffwechselt eine Vielzahl von Medikamenten, u. a. Opiate und Corticosteroide. 
Relevant für: Fentanyl, Buprenorphin, Methadon, Oxycodon

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Genetisch bedingte Unterschiede- Metabolisierungs-Typen

Je nach genetischer Ausprägung dieser Enzyme wird ein Mensch einem der folgenden Metabolisierungstypen zugeordnet:

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  • Poor Metabolizer (PM) – langsame Verstoffwechsler
    Diese Patienten besitzen entweder keine oder nur sehr eingeschränkt funktionierende Enzyme. Die Folge: Wirkstoffe werden verzögert oder gar nicht abgebaut. Schon geringe Dosen können toxisch wirken und zu Nebenwirkungen führen.
    Beispiel: Tramadol kann bei PM nicht zur aktiven Substanz (M1) umgewandelt werden – die analgetische Wirkung bleibt aus.

  • Intermediate Metabolizer (IM) – eingeschränkt verstoffwechselt
    Die Enzymaktivität ist reduziert, aber nicht vollständig ausgeschaltet. Die Wirkung tritt meist verzögert ein, Nebenwirkungen können ebenfalls vermehrt auftreten.

  • Normal/Extensive Metabolizer (EM)
    Die Enzymfunktion entspricht der genetischen Norm. Medikamente werden mit der erwarteten Geschwindigkeit verstoffwechselt. Hier sind die Standarddosierungen meist wirksam und gut verträglich.

  • Ultrarapid Metabolizer (UM) – sehr schnelle Verstoffwechsler
    Durch genetische Duplikationen bestimmter Enzym-Gene ist die Enzymaktivität stark erhöht. Medikamente werden überdurchschnittlich schnell abgebaut – es kann sein, dass keine ausreichende Wirkstoffkonzentration im Körper erreicht wird. Besonders problematisch bei Codein: Es wird zu schnell zu Morphin umgewandelt, was ein Risiko für Atemdepression darstellt.

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Wie häufig sind genetisch bedingte Unterschiede im Medikamentenabbau?

Genetische Varianten, die die Aktivität von Medikamenten-abbauenden Enzymen beeinflussen, sind erstaunlich häufig – insbesondere im Bereich der Schmerzmedizin.

Je nach betroffenem Enzym ist ein erheblicher Teil der Bevölkerung kein "Standard-Metabolisierer", sondern fällt in die Gruppe der Poor oder Ultrarapid Metabolizer.

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Besonders gut untersucht ist das Enzym CYP2D6: Etwa 5 bis 10 % der mitteleuropäischen Bevölkerung sind sogenannte Poor Metabolizer, bauen also z. B. Tramadol oder Codein nur sehr langsam ab – mit erhöhtem Risiko für Nebenwirkungen oder ausbleibender Wirkung.

Auf der anderen Seite finden sich bei 1 bis 7 % sogenannte Ultrarapid Metabolizer, bei denen diese Substanzen extrem schnell in aktive oder toxische Metaboliten umgewandelt werden können. Dies kann beispielsweise bei Codein zu gefährlich hohen Morphinspiegeln führen.

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Auch CYP2C19 weist eine breite genetische Streuung auf: Rund 2 bis 5 % der Mitteleuropäer sind Poor Metabolizer, während 5 bis 20 % – insbesondere in Süd- und Osteuropa – eine ultrarapide Metabolisierung aufweisen. Das betrifft Medikamente wie Amitriptylin oder Clobazam, die in der Schmerzmedizin bei neuropathischen Beschwerden zum Einsatz kommen.

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Das Enzym CYP2C9, das vor allem für den Abbau von nicht-steroidalen Antirheumatika wie Diclofenac oder Ibuprofen verantwortlich ist, zeigt bei etwa 1 bis 3 % der Menschen eine deutlich verminderte Aktivität. Diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden oder Nierenfunktionsstörungen – insbesondere bei längerer Einnahme.

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Beim Enzym CYP3A4, das zwar den Abbau von etwa der Hälfte aller Medikamente beeinflusst, sind genetisch bedingte Aktivitätsunterschiede vergleichsweise selten.

Viel relevanter sind hier sogenannte medikamentöse Interaktionen: Bestimmte Arzneien oder Substanzen (wie Grapefruitsaft, Antibiotika oder Johanniskraut) können CYP3A4 stark hemmen oder aktivieren – und so die Wirkung anderer Medikamente erheblich verändern.

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Wann ist eine pharmakogenetische Analyse sinnvoll?

Eine genetische Testung ist insbesondere in folgenden Fällen empfehlenswert:

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  • wiederholtes Therapieversagen trotz leitliniengerechter Behandlung

  • ausgeprägte Nebenwirkungen bei Standarddosierungen

  • langfristige oder komplexe Schmerzbehandlung (z. B. bei Polyneuropathie, postoperativem Schmerzsyndrom, Fibromyalgie)

  • Polymedikation mit potenziellen Interaktionen

  • geplante Opioid- oder Antidepressivatherapie

  • Patienten mit besonderer Empfindlichkeit gegenüber Medikamenten

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Ablauf der Untersuchung

Die Analyse erfolgt in der Regel unkompliziert mittels Speichelprobe oder Blutabnahme. Im Labor werden dann gezielt genetische Varianten der relevanten CYP-Enzyme untersucht. Das Ergebnis wird in einem ausführlichen Befund zusammengefasst, der Hinweise auf geeignete oder kontraindizierte Wirkstoffe sowie Dosierungsempfehlungen enthält.

In Kombination mit klinischer Erfahrung kann diese Information helfen, individuell passende Therapien zu entwickeln – gerade in der Schmerzmedizin ein großer Gewinn.

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Zielgerichtete Schmerztherapie in meiner Ordination

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Diese genetisch bedingten Unterschiede sind nicht selten – und sie können entscheidend beeinflussen, ob ein Schmerzmittel wirksam ist, ob es vertragen wird oder ob Risiken bestehen. Eine gezielte pharmakogenetische Testung kann helfen, solche individuellen Faktoren zu erkennen und Therapien maßgeschneidert zu planen – gerade bei chronischen oder komplexen Schmerzzuständen.

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In meiner Ordination in Retz kombiniere ich moderne Schmerzmedizin mit individualisierter Diagnostik. Wenn herkömmliche Schmerzmittel nicht den gewünschten Erfolg bringen oder schlecht vertragen werden, kann eine pharmakogenetische Analyse helfen, Klarheit zu schaffen – und den Weg zu einer wirksameren Therapie ebnen.

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Als Fachärztin für Anästhesiologie mit Spezialisierung auf Schmerzmedizin beziehe ich solche genetischen Aspekte auf Wunsch in die Behandlungsplanung mit ein.

Die Beratung erfolgt ausführlich und unter Berücksichtigung Ihrer Gesamtsituation.

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